Integration und Rebranding der Traktorsparte von Renault in die CLAAS Gruppe
Ein Unternehmer bürgt mit seinem guten Namen
Zusammenfassung
Die erfolgreiche Integration in einem interkulturellen, deutsch-französischen Kontext ist eine große Herausforderung. Und es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass die meisten schlecht gemanagten Akquisitionen deshalb gescheitert sind, weil die dem Kauf folgende Integration nicht rechtzeitig geplant oder schlecht umgesetzt wurde. Am Beispiel CLAAS wird deutlich, welche besonderen Herausforderungen sich für eine Premium-Marke nach einer Akquisition ergeben. Dieser Beitrag beschreibt die Integration der Traktorsparte von Renault in die CLAAS-Gruppe nach Akquisition von 51 % der Anteile im April 2003. Außerdem erfolgt eine Analyse der Auswirkungen der Integration auf die Marke CLAAS über einen Zeitraum von circa fünf Jahren.
Autoren
M. Westerbarkei
Westfälische Corporate Finance GmbH
Halle Westfalen, Deutschland
E-Mail: mathias.westerbarkei@westfaelische-corporate-finance.de
H. Rabe (✉️)
Claas KGaA mbH
Harsewinkel, Deutschland
E-Mail: h.rabe@rabeonline.de
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 271C.
C. Baumgarth (Hrsg.), B-to-B-Markenführung, 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Gabler 2018.
Inhaltsverzeichnis
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M&A-Transaktionen und deren Bedeutung für Unternehmen
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CLAAS-Historie
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Eigenes M&A-Know-how im Unternehmen
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Herausforderung der Marke CLAAS im Wandel der Landtechnik-Distribution
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Transaktion mit Renault
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Integration
6.2 Kommunikation des Integrationsziels
Literatur
1 M&A-Transaktionen und deren Bedeutung für Unternehmen
Das globale M&A-Volumen betrug in 2007 über vier Billionen US Dollar, mehr als dreimal so viel wie in 2003, als CLAAS die Traktorsparte von Renault übernahm (Thomson Financial zitiert in Tschök und Klemen 2009, S. 341). Auch wenn die Subprime-Krise in 2008 aufgrund der hohen Risikozuschläge kreditfinanzierte Übernahmen von Finanzinvestoren ausbremste, werden Unternehmenskäufe und -zusammenschlüsse auch in Zukunft immer wieder Schlagzeilen machen. Auch die so genannten strategischen Investoren, die in der Regel ein Interesse daran haben, das akquirierte Unternehmen langfristig zu halten und ggf. sogar in die bestehende Organisation zu integrieren, sind in der Lage, große Akquisitionen zu realisieren. Jedes gut geführte Unternehmen sollte sich rechtzeitig mit diesem Thema auseinandersetzen und es in seine Unternehmens- und Markenstrategie aufnehmen. Studien belegen, dass mehr als die Hälfte aller M&A-Vorhaben scheitern (z.B. Gerds und Schewe 2014, S. 4), insbesondere aufgrund einer zu spät geplanten oder schlecht umgesetzten Integration. Dass Integration weit mehr als die reine organi- satorische und IT- bzw. systemtechnische Eingliederung bedeutet, ist allgemein bekannt. Aber die tatsächliche Arbeit an der kulturellen Annäherung, an der markentechnischen (Neu-)Positionierung ist mühevolle Kleinarbeit in vielen Schritten, dauert eine Zeit und braucht den unbedingten Dialog mit allen Stakeholdern. Am Beispiel von CLAAS soll gezeigt werden, wie eine Integration in einem interkulturellen, deutsch-französischen Ko-text zum Erfolg geführt werden kann. Nach den Erfahrungen aller Beteiligten ergeben sich elf Erfolgsfaktoren, die nachfolgend ausführlich dargestellt werden. Doch zunächst zur Situation der CLAAS-Gruppe vor der Akquisition.
2 CLAAS-Historie
Allen Ausführungen muss vorangestellt werden, dass CLAAS ein klassisches Familienunternehmen ist, gehalten und geführt von einer generationenübergreifend denkenden und handelnden Unternehmerfamilie. Das macht es selbstverständlich, dass CLAAS seit der Firmengründung in 1913 durch August Claas in Clarholz/Westfalen vor allem organisch gewachsen ist – getrieben durch technische Entwicklungen und Produktgestaltungen, die bis heute von einem tiefen Verständnis der Ernteprozesse geprägt sind. 1936 bringt CLAAS den ersten in und für Europa konstruierten Mähdrescher auf den Markt. In diesem Markt hat sich CLAAS gut behaupten können und ist seit Jahren europäischer Marktführer bei Mähdreschern und Weltmarktführer bei Selbstfahrenden Feldhäckslern. Auch im Markt der Futtererntemaschinen ist CLAAS gut positioniert, nicht in allen Märk- ten als mengenmäßiger Marktführer, aber klar im Premiumsegment marktgestaltend. Fut- tererntemaschinen sind aber ein Beispiel dafür, dass es in der Historie von CLAAS auch eine Reihe von Akquisitionen gab, z. B. 1969 die Übernahme der Landmaschinenfabrik Josef Bautz (heute CLAAS Saulgau GmbH) oder 1997 der Erwerb eines Werkes in Törökszentmiklós (Ungarn). „Saatengrün“ nennen die Mitarbeiter von CLAAS die Farbe, die inzwischen zu einem Markenzeichen geworden ist. Die Menschen, die für CLAAS arbeiten, identifizieren sich stark mit der Marke CLAAS. Sie arbeiten in einem Familienunternehmen, in dem die Leidenschaft für Landwirtschaft eine große Bedeutung hat. Denn schließlich trägt der technologische Fortschritt in der Mechanisierung der Landtechnik auch dazu bei, dass die weltweit wachsende Bevölkerung in Zukunft ernährt werden kann und dass für die notwendige Abkehr von fossilen Rohstoffen durch alternative Lösungen aus Biomasse für die stoffliche und energetische Nutzung ein Beitrag geleistet werden kann.
3 Eigenes M&A-Know-how im Unternehmen
Zur Wachstumsstrategie von Unternehmen gehören natürlich kontinuierliche Erweiterungen, entweder in den Produkten und im Portfolio oder in Absatzkanälen und Märkten oder auch in beiden. Erfolgreiche Unternehmen halten sich zudem aber auch beständig vorbereitet für Akquisitionen, beobachten Marktveränderungen, sondieren potenzielle M&A- Partner. Laut einer Studie (Gerds und Schewe 2014) sind diejenigen Unternehmen erfolgreicher, die über einen eigenen M&A-Bereich verfügen und in regelmäßigen Abständen Transaktionen durchführen. M&A-Know-how gehört zu den Kernkompetenzen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft. Nur fünf Prozent aller Manager in Deutschland sind jedoch auf das Thema M&A vorbereitet (Gerds und Schewe 2014). Deutsche Manager sind häufig nicht in der Lage, die hohe Komplexität der M&A-Prozesse und vor allem der Integration richtig einzuschätzen. Eine richtige Integration endet nicht schon nach den ersten einhundert Tagen. So wie jede kulturbedingte Veränderung bei Menschen Zeit braucht, wird auch jede Integration, bei der unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinandertreffen, mindestens eine Mitarbeitergeneration in Anspruch nehmen. Die besten Mitarbeiter müssen für die Integrationsarbeit begeistert, engagiert und zum Teil sogar phasenweise freigestellt werden.
Bei CLAAS existiert ein eigener M&A-Bereich, der zusätzlich die Themen Unternehmensentwicklung und strategische Markt- und Wettbewerbsbeobachtung verantwortet. Diese organisatorische Verzahnung stellt sicher, dass die Unternehmensstrategie auch M&A-Elemente enthält. Die eigene M&A-Mannschaft ist in der Lage, auch komplexe M&A-Projekte eigenständig zu managen.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Integrationsphase. Dennoch ist ein kurzer Abriss über die drei Phasen typischer M&A-Projekte sinnvoll:
Strategieentwicklungsphase - Transaktionsphase - Integrationsphase
In der Strategieentwicklungsphase wird bei CLAAS gemeinsam mit den Geschäftseinheiten in einem projektorientierten Ansatz die Unternehmensstrategie entwickelt. Die strategischen Optionen werden bewertet und neben einer Stand-alone-Strategie (organisches Wachstum) wird auch eine M&A-Strategie entwickelt. Daraus werden einzelne strategische Initiativen abgeleitet, die in unterschiedlichen Projektteams abgearbeitet werden. In den M&A-relevanten Projektteams werden danach Anforderungsprofile für potenzielle M&A-Targets entwickelt.
In der Transaktionsphase folgen dann Sondierungsgespräche. Es wird eine Vorprüfung durchgeführt, ggf. ein unverbindliches, indikatives Angebot abgegeben und erst wenn das Unternehmen genau den Vorstellungen von CLAAS entspricht, wird eine sehr ausführliche und sorgfältige Prüfung des Unternehmens veranlasst (Due-Diligence-Prüfung, zum Überblick Berens et al. 2013). In der Due-Diligence-Phase wird auch der Integrationsplan so weit vorbereitet, dass unmittelbar nach dem Closing die Integration beginnen kann. Bevor die Phase der Integration am Beispiel von Renault Agriculture genauer beschrieben wird, müssen die Situation und Beweggründe aufgezeigt werden, die Ausgangspunkt zur Übernahme von Renault Agriculture waren.
4 Herausforderung der Marke CLAAS im Wandel der Landtechnik-Distribution
Der Landtechnikmarkt hat aus seiner Geschichte heraus eine Eigentümlichkeit, die es in anderen Branchen selten gibt. Er ist zum Teil hoch fragmentiert, eher lokal geprägt und zum Teil sehr konzentriert. Der Konzentrationsgrad hängt davon ab, wie stark die Ma- schinen und Geräte in den Boden eingreifen. Bodenbearbeitungsgeräte wie Pflüge oder Grubber mussten immer exakt angepasst werden auf die lokale Bodenstruktur, um optimal (und damit vor allem energieeffizient) zu funktionieren. Die Anbieter mussten den Boden, der tatsächlich regional deutliche Unterschiede aufweist, verstehen und „lesen“ können. Ein paar Kategorien wie „lehmig“, „sandig“ oder „tonerdig“, für die man entsprechende Produktlinien anbieten könnte, reichen nicht aus. Dies macht eine überregionale Skalierung für solche Anbieter bis heute besonders aufwändig. Entsprechend können Anbieter von Geräten, die tief in den Boden eingreifen, nur in den Regionen präferierte Anbieter werden, in denen sie die Bodenverhältnisse genau verstehen. Je weniger die Maschinen allerdings in den Boden eingreifen, desto unabhängiger werden sie in ihrer regionalen Vermarktung. Traktoren fahren im Prinzip überall – wenngleich es auch dort Spezifika gibt, die aber leichter kategorisierbar sind. Erntemaschinen können ebenfalls mit entsprechend angepassten Erntevorsätzen fast überall eingesetzt werden. Das Gleiche gilt für Feldspritzen und Düngerstreuer. Anbieter solcher Maschinen konnten also mit überschaubarem Aufwand ihre Internationalisierung vorantreiben.
Die Marktentwicklung der vergangenen 20 Jahre zeigt dies. CLAAS und besonders seine größten Wettbewerber haben die Internationalisierung und Arrondierung ihres Produktportfolios massiv vorangetrieben. Was CLAAS von diesen Mitbewerbern unterschieden hat, war die konsequente Fokussierung auf die Erntetechnik. Aus dem Kompetenzschwerpunkt und dem Markenkern der Marke CLAAS heraus war dies die richtige Strategie. Der Erfolg von CLAAS im Feld der Erntetechnik bestätigt das. Obwohl einige Wettbewerber am Umsatz gemessen größer sind und obwohl sie alle Erntemaschinen in ihrem Programm haben, kann CLAAS bis heute die Marktführerschaft in vielen Gebieten der Welt und in jedem Fall die Kompetenzführerschaft verteidigen.
Eine andere Eigentümlichkeit des Landtechnikmarktes aber führte dazu, dass CLAAS aus der Fokussierung heraus die Verbreiterung des Produktsortiments angehen musste. Dies hat mit dem hochfragmentierten, lokal geprägten Handel zu tun. Viele heutige Landtechnik-Händler sind aus dörflichen Schmieden hervorgegangen, die zu der Zeit vor der Motorisierung in der Landwirtschaft entstanden sind. Mit der Motorisierung kamen dann die Traktoren zum Sortiment. Die Schmiede, die Neuprodukte produzierte und für Reparatur und Service bereitstand, ergänzt das Angebot um Handelsprodukte. Mit der hochdynamischen Entwicklung im Zuge der Motorisierung nahm der Handel und der anschließende Service so viel Raum ein, dass aus der Schmiede der Landtechnik-Händler wurde – mit dem seit dieser Zeit traditionellen Fokus auf den Traktor. Einige Jahre später erfasste die Technologieentwicklung auch die Erntetechnik.
CLAAS war hier, wie beschrieben, Vorreiter im europäischen Raum in der Entwicklung von „Selbstfahrern“, also Mähdreschern, die eine eigene Motorisierung hatten und nicht länger von Traktoren gezogen wurden. Erntetechnik von CLAAS wurde für die Händler zu einem wichtigen zweiten Standbein, das jeweils etwa ein Viertel ihres Umsatzes ausmachte, während der Traktor gut ein Drittel zum Umsatz beitrug. Ein Gleichgewicht, das über viele Jahre gut funktionierte und das von CLAAS entsprechend gepflegt wurde. Die Traktorenmarke stand in der Wahrnehmung der Kunden – unabhängig von ihrer jeweiligen Positionierung und Image-Wertung – dennoch traditionell etwas im Vordergrund. Mit dieser leichten Dominanz in der Markenpräsenz konnte sich CLAAS allerdings gut arrangieren, solange die Traktorenmarken ihrerseits unabhängig waren bzw. ihre Marke vornehmlich auf Traktoren beschränkt blieb. So entstand international ein buntes Bild:
Ford war der wichtigste Partner in Großbritannien und Nordamerika, Renault in Frankreich, Volvo in Skandinavien, Fiat im südlichen Europa und in Westdeutschland die Marke Deutz und Fendt. CLAAS konnte sich als Erntespezialist jeweils eine klar abgegrenzte eigene Positionierung als Premiumanbieter erarbeiten.
Der Konsolidierungs- und Globalisierungsprozess der letzten zwei Dekaden aber veränderte die Situation. Wie in einer Kettenreaktion zerbrachen für CLAAS diese Kooperationen im Händlernetz. Denn durch Fusionen und Akquisitionen bildeten sich Markengruppen, die eine oder sogar mehrere Traktorenmarken und zusätzlich eben auch Erntetechnik-Marken bündelten. Partner mutierten zu Konkurrenten. Die erste Irritation ent- stand zum Beispiel, als Deutz die Firmen Fahr und Ködel & Böhm kaufte, beide auch Mähdrescherhersteller. Wenig später brachte Ford seine Traktordivision in die Firma New Holland ein, die ein komplettes Mähdrescherprogramm im Angebot hatte – das Ende einer langjährigen Kooperation in Nordamerika. Ford/New Holland wurde bald darauf von Fiat übernommen. Sämtliche Händlerkooperationen mit Fiat mussten neu geordnet werden.CLAAS fand in Case einen guten Ersatzpartner für den amerikanischen Markt. Aber auch diese Zusammenarbeit wurde irritiert durch den Kauf von IHC (International Harvester Company) durch Case. Wieder hatte ein Traktorenhersteller eine komplette Mähdrescherreihe gekauft. Im Heimatmarkt Deutschland und Kerneuropa wurde die nach der Trennung von Deutz fruchtbare Zusammenarbeit mit Fendt massiv ausgebremst, als kurz nach dem Tod des Eigentümers die Firma Fendt an eine amerikanische Unternehmensgruppe verkauft wurde. Von solchen Gruppen wird den Händlern seitdem eine ausreichende Palette an Produkten und Marken geboten, die als Businessmodell hinreichend attraktiv sind. So sind sie in der Lage, ihr Distributionsnetz konsequent mit Exklusivhändlern auszubauen, vielleicht mehrere Marken im Angebot zu haben, aber alle von einem Hersteller.
Die Alternative für CLAAS war ehrgeizig, aber die einzig sinnvolle Lösung, die langfristig einen erfolgreichen Fortbestand der Premiummarke CLAAS sichern konnte: der breite Einstieg in den Traktorenmarkt – entweder unter einer Zweitmarke (wenn die zu akquirierende Traktorenmarke international ausreichend Reputation und Potenzial hätte) oder unter der Marke CLAAS, was für die Markenwahrnehmung eine signifikante Erweiterung bedeutete. Damit verbunden ist der analoge Aufbau eines eigenen Netzwerks von Exklusivhändlern, die authentisch CLAAS-Händler mit breitem Sortiment sind: Händler, die die Markenqualität in Erntemaschinen, in Traktoren und in der Heuwerbung bzw. bei Futtererntemaschinen repräsentieren.
CLAAS hatte sich bereits Jahre vor dem Einstieg bei Renault Agriculture mit der Entwicklung eigener Spezialtraktoren beschäftigt. Einvernehmlich konzentrierten sich die Ingenieure auf hochwertige, leistungsstarke und komfortable Maschinen, weil dies dem Anspruch und der Kompetenz der Marke entspricht. Denn so hatte CLAAS schon immer Märkte mitgestaltet – nicht über das Volumengeschäft, sondern über die Technologie- führerschaft. Entwicklung und Bau von Traktorenmodellen in Leistungssegmenten, in denen bereits starker Wettbewerb und Preisdruck bestand, konnte für CLAAS kein gewinnbringendes Investment sein. Anders im Top-Segment der leistungsstarken Maschinen mit neuen Technologiekonzepten (vier gleichgroße Räder, Vollrahmenkonzept, mittig angeordnete Kabine, intelligentes, möglichst stufenloses Getriebe). Hier konnte CLAAS ein exklusives Segment erschließen, das heute die Basis für nachhaltiges Wachstum darstellt, weil der Bedarf nach mehr Leistung, mehr Effizienz und mehr Agilität stetig zunimmt – besonders in osteuropäischen Märkten: das Segment der 4×4-Großtraktoren.
Parallel zur Eigenentwicklung ergab sich aus einer intensiven Kooperation mit Caterpillar die Option zur Adaption und Vermarktung von Raupenschleppern im europäischen Markt. Auch hier ging es um besondere Leistungsfähigkeit im Feldeinsatz. CLAAS konnte mit den für europäische Einsatzbedingungen spezifizierten Modellen eine Reihe von landwirtschaftlichen Großbetrieben überzeugen. Allerdings stieß der Markt schnell an Grenzen. Raupenschlepper der bisherigen Bauart brauchen Systembedingungen, die, zumindest in Westeuropa, nie mehr als einen Nischenmarkt ermöglichen. CLAAS wollte jedoch mehr als diesen möglichen Nischenmarkt besetzen. Deshalb verfolgten die Techniker ebenfalls eigene radgetriebene Konzepte weiter.
Zurück zu den sich verändernden Marktbedingungen: Die Konzentrationsentwicklung in der Landtechnikbranche, die Fusionen zu größeren Markengruppen, entwickelte sich Ende der neunziger Jahre und um die Jahrtausendwende schneller als je zuvor. Die Traktoren-Marken derjenigen Händler, die auch das Sortiment von CLAAS führten, wurden durch die Übernahmen zunehmend Teil des Sortiments der großen Wettbewerber. Und diese Wettbewerber setzen seitdem folgerichtig auf ein Netzwerk von Exklusivhändlern. Damit CLAAS also nicht perspektivisch „Zweitmarkenpartner“ im Händlernetz würde, ging es darum, ein ebenso starkes Distributionsnetzwerk zu bilden, in dem CLAAS treibende Marke mit einem ausreichend breiten Produktsortiment ist. Die Absicherung und der Ausbau des Vertriebs in Frankreich, dem größten Landwirtschaftsmarkt Westeuropas, waren weitere Gründe und ein wesentliches Argument für das Engagement bei Renault Agriculture. Das dichte Netz der Renault-Agriculture-Händler in Frankreich vertrat traditionell auch die Erntemaschinen von CLAAS. Insofern hätte die Übernahme dieser Traktorensparte durch einen Wettbewerber wiederum die aufwändige Neuordnung des CLAAS-Vertriebs, diesmal in Frankreich, notwendig gemacht.
5 Transaktion mit Renault
In 2002 ergaben sich Gespräche mit Renault über eine mögliche Veräußerung des Landtechnikbereichs. Für die Traktorsparte, die traditionell einen starken lokalen Schwerpunkt in Frankreich hatte, ergaben sich durch das internationale Vertriebsnetz von CLAAS zusätzliche Wachstumschancen und CLAAS konnte sein Programm erweitern und somit seine Attraktivität im Vertrieb erhöhen. Die strategische Logik war gegeben. Doch bevor der kostenintensive Prozess der Due-Diligence-Prüfung durchgeführt wurde, startete CLAAS mit einem kleinen Team eine Vorprüfung vor Ort. Dieses Team hat daraufhin kurzfristig ein mögliches Geschäftskonzept, einen groben Business-Plan und eine erste Unternehmensbewertung erstellt. Außerdem wurde die Transaktion auf mögliche Synergien und vor allem auf die Integrationsfähigkeit hin überprüft. In dieser frühen Phase waren auch
die ersten Ideen für eine erfolgreiche Markenintegration geboren. Nach der Vorprüfung war bereits vorgezeichnet, dass die Traktoren künftig den Namen CLAAS tragen würden. Entsprechend wurde die Due Diligence geplant. Es musste sorgfältig geprüft werden, ob die Traktoren technologisch und qualitativ den hohen Kundenanforderungen von CLAAS gerecht werden konnten und ob das Markenimage der Renault-Traktoren mit dem Markenimage der Erntemaschinen von CLAAS kompatibel sein konnte. Entscheidend waren in dieser Akquisitionsphase auch die Prüfung der Unternehmenskultur und der Integrationsmannschaft. Noch im Herbst 2002 erfolgte eine ausführliche Due-Diligence-Prüfung, die dann in verschiedenen Verhandlungen bis Ende Februar 2003 in einen Vertragsabschluss mündete. Der Integrationsplan war in der Due-Diligence-Phase detailliert vorbereitet worden und wurde in wichtigen Eckpunkten bereits Bestandteil des Kaufvertrages. Das Closing, d. h. die Kaufpreiszahlung und die Übertragung von 51 % der Anteile an Renault Agriculture an CLAAS, konnte bis Ende April 2003 realisiert werden (vgl. Abb. 1).
6 Integration
6.1 Integrationsvorbereitung
Schon während der Due-Diligence-Prüfung wurde die Integration sorgfältig vorbereitet, denn immerhin handelte es sich um die größte Akquisition in der Unternehmensgeschichte, bei der fast die Hälfte des damaligen CLAAS-Umsatzes (1,3 Mrd. € in 2002) durch die erworbene Traktorsparte dazukam. „Growing together“ war das Motto der Integration, welches auf zweierlei Weise zu interpretieren war. Zum einen sollte es Renault Agriculture und CLAAS gemeinsam gelingen, profitabel zu wachsen, und zum anderen war es das erklärte Ziel der Post-Merger-Phase, einen hohen Integrationsgrad zu erreichen und daher markentechnisch und kulturell (im Sinne gemeinsamer Identifikation mit diesem dann einen Unternehmen) zusammenzuwachsen. Die frühzeitige Entwicklung dieser wertorientierten Strategie und der klaren Strukturen gehört zu den notwendigen Vorbereitungen. Außerdem hängt der Erfolg einer Integration davon ab, die richtigen Dinge möglichst effizient und schnell auf den Weg zu bringen. Das gelingt nur mit einem hoch motivierten, proaktiven Projektteam und Mitarbeitern, die den Wandel positiv begleiten, wandlungsfähig und -bereit sind. Eine wichtige Voraussetzung für die Integration insbesondere von großen Organisationen ist auch die Existenz von gut dokumentierten und aktuellen Prozessbeschreibungen, Richtlinien und sonstigen Unternehmensstandards. Gerade in der Anfangsphase sind klare Regeln erforderlich, um wertvolle Zeit zu sparen und den Mitarbeitern in der akquirierten Organisation unmittelbar Orientierung zu geben. Für ein Unternehmen, das nicht regelmäßig Integrationsprojekte in vergleichbarer Größenordnung durchführt, empfiehlt es sich zudem, integrationserfahrene Projektberater zu engagieren.
6.2 Kommunikation des Integrationsziels
Zunächst wurde das Ziel, gemeinsam zu wachsen, an alle Mitarbeiter von CLAAS und Renault Agriculture kommuniziert. Unmittelbar nach einer Akquisition entstehen typischerweise viele Unsicherheiten bei den Mitarbeitern über deren Zukunft. Das Risiko ist hoch, gute Mitarbeiter zu verlieren. Da der Zusammenschluss von CLAAS und Renault Agriculture aufgrund der weltweit stabilen Aufwärtsentwicklung im Landtechnikmarkt jedoch nicht darauf abzielte, Mitarbeiter abzubauen, sondern weiter zu wachsen, gab es faktisch keinen Grund zur Sorge. Diese Logik wurde bei jeder Gelegenheit immer wieder kommuniziert. Die klare, offene und starke Kommunikation der bereits detailliert
Abb. 2 Erste „Zeichen“ für die Akquisition am Stamm- werk von Renault in Le Mans
festgelegten Veränderungen durch das CLAAS-Top-Management bildete eine gute Voraussetzung für die weiteren Schritte. Darüber hinaus wurden symbolisch Zeichen für die Akquisition gesetzt (vgl. Abb. 2).
6.3 Projektorganisation
Schnelle Entscheidungen waren notwendig, um die angedeuteten Unsicherheiten Schritt für Schritt zu beseitigen und den gemeinsamen Wandel voranzutreiben. Zu diesem Zweck wurde ein „Program Office“ eingerichtet, in dem Vertreter des Top-Managements vonCLAAS, Renault Agriculture und der Integrationsberater gemeinsam wöchentlich über die Lösungsvorschläge zu entscheiden hatten, die von den Integrationsteams erarbeitet wurden. Die Teams hatten jeweils eine Doppelspitze mit Vertretern aus dem mittleren Management von Renault Agriculture und CLAAS. Entscheidungen mussten gemeinsam getroffen werden. Die „Schiedsrichterfunktion“ übernahm das Program Office, in dem die beste Lösung zu bestimmen war. Durch diese parallele Organisation war sichergestellt, dass das Kerngeschäft von CLAAS auch weiter im Fokus blieb. Das Top-Management vonCLAAS hatte häufig den direkten Draht zu den Integrationsteams und war in der Lage, schnell zu reagieren. Ein straffes Projektmanagement mit einem wöchentlichen Berichtswesen über den Projektfortschritt (mit Ampelfunktion bzgl. des jeweiligen Status) wurde eingeführt. Und die Mitarbeiter von CLAAS und Renault Agriculture wurden alle zwei Wochen über den Newsletter „update“, der auch Mitarbeiterinterviews enthielt, über den Integrationsfortschritt, kulturelle Besonderheiten in Frankreich und Deutschland und über besondere Integrationsleistungen informiert.
6.4 Kulturelle Unterschiede
Um möglichst schnell Verständnis für die kulturellen Unterschiede zu entwickeln, waren regelmäßige, mindestens zweiwöchentliche Treffen der Teams vor Ort in Frankreich und Deutschland ein Muss. Diese Treffen wurden explizit vom Top-Management eingefordert. Jeder Projektleiter hatte eine direkte Berichtslinie zu einem der Top-Manager als „Sponsor“ aus dem Program Office. Zudem gab es tägliche Telefonkonferenzen der Teams. Die Projektsprache war Englisch, um mögliche Sprachkonflikte zu vermeiden und eine neutrale Sprache zu verwenden. Die Umsetzungsgeschwindigkeit konnte durch die erhöhte Akzeptanz, das Vertrauen und die damit verbundene erhöhte Wandelbereitschaft wesentlich gesteigert werden. Die Förderung des gegenseitigen Verständnisses wurde zusätzlich durch Seminare für die Projektmitglieder sichergestellt, in denen die kulturellen und sonstigen Besonderheiten im Geschäftsleben der beiden Länder Deutschland und Frankreich gegenübergestellt wurden. Für das mittlere und das Top-Management von Renault Agriculture und CLAAS gab es zu Beginn der Integration eine gemeinsame Segeltour, bei der wichtige persönliche Kontakte entstanden.
6.5 Nutzung und Überleitung des vorhandenen Reportings
Direkt nach dem Closing, noch bevor die offiziellen Integrationsteams sich gebildet hatten, gab es ein gemeinsames Treffen in Paris mit den Managern aus dem Finanzbereich von Renault Agriculture und CLAAS. Dort hatten die Kollegen die erste Gelegenheit zu einer persönlichen Vorstellungsrunde und einem ersten Erfahrungsaustausch. Diese Gelegenheit wurde sofort dazu genutzt, den groben Umfang der von CLAAS zu erwartenden Monatsberichte, Termine und die Bilanzierungsstandards (US-GAAP) vorzustellen. Innerhalb von drei Wochen wurde dann unter höchstem Zeitdruck mit dem Team Finanzen das bei Renault Agriculture vorhandene Berichtswesen auf die CLAAS-Standards übergeleitet. Das frühzeitige „Andocken“ des vorhandenen Reportings ist wichtig, um mögliche operative Probleme schnell transparent zu machen und unverzüglich gegensteuern zu können. Die ersten Wochen nach einer Übernahme sind besonders kritisch bzgl. möglicher operativer Nachlässigkeiten im übernommenen Geschäft. Die vorhandenen Systeme und Methoden sollten aber gerade in der Anfangsphase weitergeführt werden, weil eine sofortige Komplettumstellung zu lange dauern und ggf. zu nicht überschaubaren Risiken führen kann. Kleine, überschaubare Schritte sind hier gefragt. Zunächst müssen die Besonderheiten des übernommenen Geschäfts hinreichend bekannt sein. Erst wenn die Auswirkungen der Veränderung sicher abgeschätzt werden können, dürfen Systeme und Prozesse geändert werden. Dementsprechend wurden sämtliche EDV-Systeme erst zwei Jahre nach der Akquisition vollständig auf das CLAAS-System (SAP) umgestellt.
6.6 Reorganisation des Vertriebs
Ein Jahr nach der Akquisition wurde die größte Vertriebseinheit von Renault Agriculture, die für Frankreich zuständig war, mit der französischen Vertriebsgesellschaft von CLAAS zusammengeführt (vgl. Abb. 3).
Außerdem wurden die 22 eigenen Vertriebsniederlassungen von Renault Agriculturein eine Tochtergesellschaft eingebracht (carve-out), die daraufhin ein eigenständiges Management, unabhängig von Renault Agriculture, erhielt. Die regionalen Zuständigkeiten der französischen Händler, teilweise im Eigentum von CLAAS, mussten neu definiert werden. Viele der übernommenen Händler hatten bereits CLAAS-Erntemaschinen im Angebot. Es ergab sich für CLAAS jedoch in Frankreich auch ein zusätzliches Potenzial, insbesondere im Bereich der Futtererntemaschinen. Renault galt in Frankreich bei Traktoren als Premiummarke mit der größten Population im Markt. Daher war hier in der Markenumstellung eine hohe Sensibilität gefragt. Die bei CLAAS typische gesellschaftsrechtliche Trennung von Produktverantwortung und Vertriebsverantwortung wurde in Frankreich ein Jahr später als im internationalen Vertrieb realisiert. Für jedes Land wurde eine individuelle Lösung im Vertrieb erarbeitet. Die Mitarbeiter der deutschen Vertriebstochtergesellschaft von Renault Agriculture, die in Deutschland noch keine nennenswerte Position aufgebaut hatte und daher geschlossen wurde, übernahmen die CLAAS-Vertriebsgesellschaft.
Abb. 3 Zusammenführung der Händlernetze von Renault und CLAAS
In vielen Ländern waren Renault Agriculture und CLAAS entweder mit Importeuren oder eigenen Tochtergesellschaften präsent. Es gab also unmittelbar nach der Akquisition zahlreiche Überlappungen. Mit allen Beteiligten wurde immer die beste Lösung erarbeitet und schnell umgesetzt. Den Mitarbeitern konnte in der Regel ein Übernahmeangebot gemacht werden. Die nicht mehr benötigten Tochtergesellschaften wurden entweder verkauft oder geschlossen und Verträge mit Importeuren beendet, um vertriebsseitig einen gemeinsamen CLAAS-Auftritt zu realisieren. Entscheidend war die schnelle Umsetzung. Die typischerweise nach einer Zusammenführung zweier Vertriebsorganisationen entstehenden Unsicherheiten im Vertrieb konnten somit auf ein Minimum reduziert werden. In nur wenigen Jahren nach der Akquisition hat sich das internationale Traktorgeschäft so gut entwickelt, dass Renault Agriculture (seit Juli 2008 CLAAS Tractor) den Exportanteil verdoppeln und CLAAS im Erntegeschäft weiter wachsen konnte. Die größten Integrationsbarrieren bestanden bei der Veränderung der Verantwortungsbereiche der Manager und Mitarbeiter, nicht bei der Umstellung von Systemen.
6.7 Markenmanagement im Integrationsprozess
Für die Marke CLAAS war die Akquisition von Renault Agriculture in doppelter Hinsicht ein Meilenstein. Die „Erntemaschinen“-Marke mit eindeutigem Schwerpunkt auf Mähdreschern und Feldhäckslern (bei denen CLAAS auch heute und zukünftig eine führende Stellung auf dem Weltmarkt einnimmt) arrondiert sich nicht nur um einige weitere Ernte-Spezialmaschinen, sondern betritt, wie bereits beschrieben, ein neues Gebiet: das von Wettbewerber-Marken besetzte Traktoren-Feld. Die in der Landtechnik-Branche übliche Unterscheidung in „Full-Liner“ (Traktoren, Anbaugeräte und ergänzende Erntemaschinen) und „Short-Liner“ (Anbieter von speziellen Landmaschinen, jedoch keine Traktoren) wurde mit der Akquisition um eine Variante bereichert. Denn bei CLAAS bleibt das angestammte Feld der Erntemaschinen dominante Mitte der Marke, die Traktoren aber sind keine marginale Ergänzung des Portfolios, sondern integraler Bestandteil in einem umfassenden Arbeitsprozess – für all jene Aufgaben, die zu einer guten Ernte beitragen. Damit sämtliche notwendigen Arbeitserledigungen perfekt ineinandergreifen, optimal aufeinander abgestimmt sind, komfortabel und effizient erledigt werden können, entwickelt CLAAS Maschinen vom Standpunkt des Arbeitssystems, nicht des Antriebssystems aus. Hier hat ein Traktor seinen Platz – als Zugmaschine für Anbaugeräte, als Geräteträger oder als Logistik-Unterstützung. Genauso aber sind selbstfahrende Erntemaschinen Teil dieses System-Ansatzes, der in der Summe die beste Arbeitserledigung im Ernteprozess großer landwirtschaftlicher Betriebe gewährleistet.
Um diesen Ansatz des integrierten Arbeitssystems zum Ausdruck zu bringen, war es wichtig, auch bei antriebsdominierten Traktoren Zeichen zu setzen – schneller, als es Dogmatikern einer klaren und ehrlichen Marke vielleicht lieb sein mochte. Denn nur wenige Monate nach der Übernahme entschieden sich Management und Gesellschafter von CLAAS, die Traktoren auf das CLAAS-typische Erscheinungsbild umzustellen (vgl. Abb. 4und 5). Für eine begrenzte Phase bedeutete dies ganz bewusst, dass noch nicht drinsteckte, was draufstand – zunächst in allen Märkten außerhalb Frankreichs, ein Jahr später jedoch auch auf dem Heimatmarkt der traditionsreichen Marke Renault Agriculture.
Diese markentechnische Unklarheit aber wurde überstrahlt von einem klaren Commitment des Gesellschafters Helmut Claas, das allen wichtigen Stakeholdern entsprechend deutlich kommuniziert wurde (sinngemäß zitiert): Ich meine es ernst mit dem Engagement bei Renault Agriculture. Ich lasse meinen Namen auf die Produkte schreiben, weil ich dazu stehe. Und ich verspreche, dass wir als gesamtes Team der CLAAS-Gruppe unsere Kompetenzen bündeln werden, um für die Traktoren den gleichen Qualitätsstandard sicherzustellen, den unsere Kunden von den anderen CLAAS-Produkten gewöhnt sind.
Abb. 4 Vereinheitlichung des Brandings bei noch getrennten Produkten (1. Phase)
Abb. 5 Parallelität der Pro- duktgestaltung (1. Phase)
Ein Unternehmer bürgt mit seinem Namen – bemerkenswerter Mut in einer solchen Phase, Herausforderung für das Markenmanagement, den integrierten Bereich in richtiger Weise, aber nicht zu lange zu subventionieren, und hoher Anspruch an Ingenieure und Techniker bezüglich der zügigen Angleichung der Standards in Qualität und Technologie. Heute, einige Jahre später, hat sich dieser Mut ausgezahlt. Neue Modelle mit weitreichend erneuerter Technologie sind als authentische CLAAS-Traktoren im Markt eingeführt, neue Kundensegmente und Märkte sind erschlossen, der System-Anbieter von Maschinen für umfassende Ernteprozesse unterstreicht im jeweiligen Wettbewerbsumfeld konsequent seinen Premium-Anspruch. Aber die Herausforderung an die Marke bleibt:CLAAS ist Technologie- und zum Teil Weltmarktführer bei Erntemaschinen mit einem bekannt erstklassigen Service und prompter Ersatzteilversorgung. CLAAS hat aber nicht das Ziel, mengenmäßig führend im Volumensegment der Traktoren zu sein, sondern sich als anspruchsvoller Anbieter technologisch hochwertiger Traktoren, vornehmlich für angestammte CLAAS-Kunden, zu etablieren. Diese Dualität gilt es klug zu managen.
Etwas Anderes ereignet sich quasi von selber und bereichert die Marke: Die Traktoren unterstreichen die Sichtbarkeit und Positionierung der Marke, sie werden „selbstverständ- lich CLAAS“ – ein Prozess, der andauert. Denn mit Traktoren ist die Marke in doppelter Hinsicht viel präsenter. Traktoren werden, anders als Erntemaschinen, über die reine Erntesaison hinaus ständig genutzt, sind also für Kunden und für das Umfeld beständig wahr- nehmbar. Aus dem nur in der Erntezeit präsenten Spezialisten CLAAS wird zusätzlich der Alltagshelfer. Zudem erschließen sich mit Traktoren für die Marke nun konsequent Kundensegmente, die bisher lediglich mit dem Teilsortiment der Grünlandbearbeitung und Heuwerbung bedient wurden. Kleinere Viehbetriebe und Nebenerwerbslandwirte sind potenzielle Kunden, die sich nun deutlich intensiver mit der Marke CLAAS umgeben. Der Großmaschinen-Anbieter CLAAS ist nun auch für diejenigen interessant und kaufbar, für die CLAAS bisher nur in sehr engen Grenzen erforderlich oder erreichbar war. Deren Markenloyalität aufzubauen, zu binden und zu nutzen, ist eine erfrischende Zusatzaufgabe für das Markenmanagement der nächsten Jahre. Gleichzeitig, und das war der zweite Meilenstein, hat die Integration von Renault Agriculture einen andauernden, vornehmlich gruppeninternen Effekt. CLAAS war bereits vor 2003 ausgesprochen exportgetrieben und produzierte Maschinen und Komponenten in ausländischen Fabriken. Die großen Entwicklungs- und Produktionsstandorte in Frankreich befördern seit der Akquisition allerdings einen kulturellen Prozess, der andauert. Mit der Integration wird aus der deutschen, ja westfälischen Marke auf dem Weltmarkt eine multilokale, zunehmend internationale Marke mit deutschen Wurzeln. Traktoren, zumindest ein großer Anteil des Traktoren-Portfolios von CLAAS sind „made by CLAAS“, aber ebenso eindeutig „made in France“. CLAAS als Marke ist nicht länger gleichbedeutend mit „made in Germany“ – zumindest nicht für alle Teile des Produktportfolios. Das hatte und hat Auswirkungen auf die Positionierung im vertrieblichen Umfeld. Noch mehr aber hat es seit der Akquisition von Renault Agriculture Auswirkungen auf die mentale Haltung aller Mitarbeiter in der CLAAS-Gruppe. Nicht aus der Zentrale in Harsewinkel allein kommt die Technologie, stammen alle Innovationen, mit denen CLAAS sich im Weltmarkt behauptet. Im Gegenteil: mehrere Kompetenz-Zentren innerhalb der Gruppe sorgen im Verbund, in enger Abstimmung für den technologischen Fortschritt. Die französischen Standorte sind und bleiben Kompetenz-Zentrum für Traktoren, ergänzt um Expertise aus Harsewinkel und aus anderen Standorten. Diese vernetzte Entwicklungsarbeit braucht eine Kultur des Respekts, der Achtung der jeweiligen Kompetenzen und der verteilten Intelligenz. Das Bekenntnis zur multilokalen Marke ist bei CLAAS keine Akklamation, sondern ein Programm der kulturellen Entwicklung als Unternehmen, das weiter wachsen will. Denn damit bereitet sich die Unternehmensgruppe vor, weitere Gelegenheiten für Akquisitionen auf dem Weltmarkt zu nutzen und die damit einhergehende Integrationsarbeit wiederum erfolgreich zu bewerkstelligen.
6.8 Post-Integrationsphase
Der Präsident von Renault Agriculture wurde nach der Akquisition in das Top-Management-Team von CLAAS aufgenommen und begleitete die Integration in dieser Rolle. Anfang 2006 erhöhte CLAAS seinen Anteil bereits auf 80 %. Nachdem etwa ein Jahr nach der Übernahme die wesentlichen organisatorischen Veränderungen umgesetzt waren und die formale Integrationsorganisation aufgelöst wurde, konnte durch die Teilnahme des Präsidenten an den Top-Management-Meetings immer noch sichergestellt werden, dass den Besonderheiten von Renault Agriculture Gehör verschafft wird. Gleichzeitig war der Präsident der beste Garant dafür, dass der von ihm in der Due-Diligence-Phase erstellte Business-Plan auch in Frankreich immer im Fokus blieb. Und um die Situation in Frankreich vor Ort immer mit einem CLAAS-Blick im Auge behalten und Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen zu können, haben in einem begrenzten Umfang CLAAS-Mitarbeiter vor Ort operative Verantwortung übernommen, ohne das Renault-Agriculture-Management zu entmachten. Die Integration wurde so weit wie möglich mit den vorhandenen französischen Managern umgesetzt. Das sorgte für Stabilität und Kontinuität, wenn auch in Einzelfällen Einschnitte notwendig waren. Die richtigen Personalentscheidungen spielen gerade in der Integrationsphase eine herausragende Rolle. In dieser Phase müssen falsche Entscheidungen unmittelbar und ohne falsche Kompromisse korrigiert werden, weil die Gefahr des Scheiterns der Integration sonst zu groß ist.
Auch wenn, wie beschrieben, das Erscheinungsbild der Traktoren bald nach der Übernahme umgestellt wurde, der juristische Unternehmensname Renault Agriculture wurde erst 2008 auf „CLAAS Tractor“ umgestellt, nachdem CLAAS 100 % der Anteile übernommen hatte. Diese Umstellung war der symbolische nachträgliche Vollzug dessen, was in den vergangenen Jahren bereits intensiv vorangetrieben wurde, dass nämlich die Mitarbeiter von Renault Agriculture jetzt vollständig in die „CLAAS Familie“ aufgenommen sind, „Claasianer“ werden nun nicht länger „RAler“ bleiben. Konsequenterweise wurde in der bis ca. 2015 andauernden „Polishing-Phase“ des Integrationsprozesses jeder Hinweis auf den alten Unternehmensnamen ausgetauscht. Nun wird kein Aufbrauchen alter Aufkleber oder Formulare, kein Auftragen alter Kittel, kein Renault-Orange in irgendwelchen Ecken mehr geduldet. Keine Kisten für Ersatzteile und Zulieferteile von Lieferanten tragen länger das alte Label. Konsequenz bis ins Detail tilgt jetzt jede Reminiszenz. Nach Jahren des Übergangs müssen irgendwann klare Schnitte folgen, wenn der Boden dafür bereitet ist. Die kulturelle Integration, die weit über dieses Sichtbare hinausgeht, steht noch einige Jahre auf der Agenda von CLAAS und wird weiterhin die Kommunikations- und Markenarbeit aller am Prozess Beteiligten bestimmen. Der Charakter und der Anspruch des Familienunternehmens bleiben unveränderte Grundlage.
7 Fazit: Erfolgsfaktoren einer Integration
Zusammenfassend hier die wichtigsten Erfolgsfaktoren aus der Sicht des Autors:
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Offene, klare und wirksame Kommunikation zwischen Top-Management und allen Beteiligten.
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Aufsetzen eines mit hoher Aufmerksamkeit des Top-Managements versehenen Integrationsteams mit gestaltungsstarken Mitarbeitern, die über exzellente Kenntnis des eigenen Unternehmens verfügen, und Beratern mit Integrationserfahrung, die ausschließlich für das Projekt zur Verfügung stehen.
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Bereitschaft und Fähigkeit zum Wandel muss auf beiden Seiten vorhanden sein oder entwickelt werden können.
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Hohes Integrationstempo, begleitet von einer Meilensteinplanung und einem regelmäßigen Berichtswesen über den Projektfortschritt.
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Kulturelle Unterschiede müssen transparent gemacht werden, um gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu entwickeln.
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Frühzeitige Entwicklung einer klaren wertorientierten Strategie und geeigneter Strukturen.
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Umfassende Due-Diligence-Prüfung in ausreichender Tiefe und eine frühzeitige Kontrolle über die Finanzen und das Berichtswesen.
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Die richtigen Dinge tun, individuell angepasst an die Mitarbeiter und die Organisation.
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Standardprozesse und -systeme sind sehr hilfreich als Basis für das Reengineering.
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Unsicherheiten schnell ausräumen, die Positionierung der Marke zügig klären und kommunizieren, Geschichten dieser neuen (gemeinsamen) Marke erzählen, bebildern, erlebbar machen.
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Nach einiger Zeit des gegenseitigen Vertrauensaufbaus ein klarer Schnitt mit allen Reminiszenzen an die alte Marke, die ehemalige Unternehmung.
Über diesen Erfolgsfaktoren steht allerdings ein weit wichtigerer, entscheidender Grund für den Erfolg. Der unbeirrbare Wille eines Gesellschafters bzw. einer Unternehmer-Familie, die sich bei allen Hindernissen, eventuellen Umwegen und Verzögerungen nicht von ihrem großen Ziel abbringen lässt: eine über hundertjährige Marke in eine größere, breitere, internationalere Zukunft zu führen. Bei CLAAS ist dies geglückt. Mitarbeiter und Management haben das unbedingte Vertrauen, dass die Marke mit den Traktoren eine solche Zukunft hat.
Literatur
Berens, W., Brauner, H. U., Strauch, J., & Knauer, T. (Hrsg.). (2013). Due Diligence bei Unternehmensakquisitionen (7. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Gerds, J., & Schewe, G. (2014). Post merger integration (5. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.
Tschök, K., & Klemen, B. (2009). M&A-Zyklus. M&A Review, 19(7), 341–345.
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